Joaquin, Deine Kenntnisse sind wirklich sehr "übersichtlich".
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10 Hirntod - keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern Definition
Dr. Martin Stahnke (Chefarzt UNI-Klinik Düsseldorf)
In der heutigen Podiumsdiskussion geht es um Organspende. Wenn wir über Organspende reden, müssen wir auch über die sterbenden Menschen reden, die auf dem OP-Tisch ihre Organe und ihr Leben lassen. Ich habe dies bewusst so formuliert - als Gegensatz zu der Formulierung auf den Organspendeausweisen, die eine Organentnahme nach dem Tod suggeriert.
Natürlich leben die zur Organspende vorgesehenen Menschen noch. Sie sind allerdings umunkehrbar sterbenskrank und würden ohne Intensivmedizin tatsächlich tot sein: kalt, starr, blassblau. All das sind sogenannte Hirntote nicht. Es werden ja lebende Organe gebraucht, nicht tote Organe. Oder halten Sie schwangere Patientinnen die Kinder gebären können für tot? Kann das überhaupt jemand ernstlich glauben?
Vielleicht sollte ich Ihnen aus meiner persönlichen Sicht schildern, wie mir bewusst wurde, dass sogenannte hirntote Menschen nicht tot sind, sondern im Sterben liegen.
Als ich noch an der Uni-Klinik Düsseldorf als Assistenzarzt arbeitete, habe ich an vielen Organentnahmen mitgewirkt, als Anästhesist. Den üblichen Vorgaben nach, damals und auch noch heute, wurden keine Narkotika bei der Organentnahme verwandt. Die Organspender waren ja - sollten ja - tot sein. Ganz wohl war mir dabei nicht gewesen. Auch Anderen nicht, wie ich später durch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen erfuhr. Jeder, der bei Organentnahmen (Explantationen) dabei war, weiß, dass Patienten sich bei Beginn der Operation noch bewegen können, dass der Blutdruck und die Herzfrequenz ansteigen können als Reaktion auf den Hautschnitt.
Freilich sind dies alles, so wird es erklärt, Reaktionen "nur" auf Rückenmarksniveau. Nun ja, das Rückenmark scheint noch zu leben. Aber auch ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass diese Reaktionen keine bewussten Reaktionen waren. Nach allem was wir wissen, kann Schmerz ohne Gehirn nicht empfunden werden. Trotzdem, der zu Explantierende reagiert. Ein Toter, so wie jeder von uns sich Tod vorstellt, würde das nicht tun. Eine etwas mulmige Situation. In dieser Situation kam vor vielen Jahren meine damalige Oberärztin in den OP-Saal und drehte den Narkosemittelverdampfer auf, so dass der Patient, dessen Organe gerade entnommen wurden, eben Narkosemittel bekam. Das ist ja doch ein wenig das Eingeständnis, dass der Organspender vielleicht doch noch nicht so ganz tot ist. Oder sollte ich etwa eine Leiche narkotisieren?
Ich fragte Sie daraufhin auch, was das denn nun sollte, schließlich wäre der Patient doch tot. Da sagte sie nur ganz kurz: "Wissen Sie das so genau, Herr Stahnke?" An diese Worte kann ich mich sehr genau erinnern, denn das war der Beginn der mein vorgefasstes und nützliches Bild, dass Organspender Tote seien, ins Wanken brachte und schließlich einstürzen ließ.
Als ich mich näher mit dem sogenannten Hirntod beschäftigte und auch eine Veranstaltung besuchte, an der Kritiker und Befürworter des Hirntodkriteriums teilnahmen und auch eine Schulklasse im Publikum war, wunderte ich mich, welche Vorstellungen über den Gesundheitszustand von Organspendern kursierten. Die Organspender wären an Herz-Lungen-Maschinen angeschlossen, hätten Herzschrittmacher und ähnliches. Der Körper, das Fleisch, die Organe, so die Vorstellung, könne nur mit maximaler Unterstützung der Intensivmedizin, quasi konserviert werden. Dies ist mitnichten so. Ein hirntoter Patient ist auf den ersten Blick auf einer Intensivstation gar nicht von anderen schwer geschädigten Patienten zu unterscheiden. Er ist warm, produziert Urin so wie alle anderen beatmeten Patienten auch. Kein Herz-Schrittmacher, keine Herz-Lungen-Maschine. Und selbst die Atmung kann bei diesen Patienten besser sein als bei so manchen anderen schwerkranken Intensivpatienten. Das muss ja auch so sein, wo sollten sonst die zu transplantierenden Lungen herkommen? Das Atemzentrum funktioniert nicht mehr (das auf und ab des Brustkorbes), der Atmungsprozess als solcher funktioniert aber tadellos.
All das hatte ich mir bis jetzt nicht klar gemacht, diese Nähe von Lebenden und für Tot- erklärten, wollte es auch nicht erkennen. Natürlich hatte ich die unangenehme Vorstellung verdrängt, dass sterbenden, nicht toten Menschen, die Organe entnommen werden.
Wie Morgensterns Palmström, der, von einem Kraftfahrzeug überfahren wurde, aber zum Schluss messerscharf schloss, dass er noch lebendig sei, weil: nicht sein kann, was nicht sein darf.
Bei mir umgekehrt: Der Patient
muss tot sein, weil er nicht lebendig sein darf. Diese Vorstellung ist schwer zu ertragen. Dass es aber ehrlicher und besser wäre, unter diesen Vorgaben Organentnahmen durchzuführen, dazu komme ich am Ende noch einmal.
In Diskussionen mit Ärzten werde ich immer wieder gefragt, wie ich nur solch eine "unwissenschaftliche" Haltung gegenüber dem Hirntod als Tod des Menschen einnehmen könnte. Die Antwort ist einfach: Es gibt keine "wissenschaftliche" Haltung, gegen die ich sein könnte.
Die bekannte Empfehlung des Ad-hoc-Kommitees der Havard Medical School von 1968 hat nichts anderes gemacht als das irreversible Koma als Todeskriterium definiert. Es gab und gibt keine zwingende wissenschaftliche Erkenntnis dies zu tun. Aber es galt eine Kontroverse aus dem Weg zu räumen, nämlich die, dass eine "überholte Definition des Todes" bei der Beschaffung von Organen zur Transplantationen hinderlich sein könnte. Einige unter Ihnen werden mir das vielleicht nicht glauben. Lesen Sie es nach. Es steht in der Empfehlung dort so wortwörtlich, ganz offen, ja schamlos.
Das wusste ich damals nicht, und die meisten Menschen wissen das heute auch noch nicht.
Wie konnte ich noch an Organentnahmen, später auch als verantwortlicher Anästhesist, teilnehmen, wenn ich nun inzwischen der Überzeugung war, dass es sich um sterbende Menschen handelt und nicht um Leichen?
Nun, zum Einen bin ich nach wie vor der Meinung, dass das, was Organspender manchmal an Reaktionen unter der Operation zeigen, nicht bewusst wahrgenommen wird. Aber wissen, natürlich, tue ich es nicht. Ich bin dann dazu übergegangen, den Patienten Narkotika und Schmerzmittel während der Operation zu verabreichen. Aus Respekt gegenüber dem Organspender und weil natürlich dieser winzige Funke der Unsicherheit in einem ist, ob nicht doch irgendetwas wahrgenommen wird. Im Übrigen wird heute, aus medizinischen Überlegungen in manchen Arbeiten empfohlen, Schmerzmittel bei Explantationen zu benutzen. Notwendig ist dies aber nicht. Die Empfehlung der Bundesärztekammer, dass während einer Explantation keine Schmerzmittel oder Narkotika gegeben zu werden brauchen, besteht weiterhin.
Ich habe übrigens während meiner Zeit in der Uniklinik Düsseldorf einige Kollegen befragt, die verantwortlich bei der Begleitung von Organspendern waren. 4 von 7 gaben zu, so muss man das ja fast bezeichnen, Narkotika oder ähnliches während einer Explantation zu verabreichen.
Sie können sich vorstellen, dass mich die Erkenntnis, dass es sich bei Organspendern um Sterbende und nicht um Tote handelt, schon verunsichert hat.
Wie müssen sich aber Angehörige fühlen, die zu dieser Erkenntnis erst lange nach ihrer Zustimmung zu einer Organentnahme bei ihrem Kind kamen. Die erkennen mussten, dass sie die Zustimmung dazu für ihr noch lebendes und mitnichten totes Kind gaben. Wie furchtbar das ist, hat Ihnen Frau Focke berichtet. (Bericht von Mutter und Vater Focke in
www.initiative-kao.de)
Dass so etwas nicht immer wieder passiert, das ist für mich die Haupttriebfeder, mich für die kritische Aufklärung über die Organspende zu engagieren.
Die Ehrlichkeit im Umgang mit der Organspende ist mir wichtig.
Ich halte den Weg der Transplantationsmedizin für einen Irrweg.!
Eine Medizin, die darauf angewiesen ist, dass relativ gesunde Menschen sterben, damit anderen Menschen geholfen werden kann, ist für mich nicht weiter Verfolgens wert.
Ich freue mich über jeden Menschen, dem durch eine Transplantation geholfen werden konnte, und wahrscheinlich sind auch einige hier unter uns.
Aber die Organe wachsen eben nicht auf Bäumen. Sie kommen von Menschen, die sterbend sind. Ich habe Achtung vor Menschen, die im Bewusstsein, dass sie auf dem Operationstisch ihr Leben beenden, ihre Organe hergeben.
Dazu müssen sie aber aufgeklärt sein. Insbesondere die Angehörigen müssen wissen, dass ihr Einverständnis zur Organentnahme für Sterbende, nicht Tote gilt.
Ich sagte eingangs, dass ich auch Palliativmediziner bin. Und so meine ich, dass es auch unbedingt akzeptiert werden muss, dass es ein zutiefst menschliches
, vielleicht sogar das wichtigste Bedürfnis eines Menschen ist, in Würde und begleitet sterben zu dürfen und auch diese Begleitung gewähren zu dürfen.
Dieses Bedürfnis darf auf keinen Fall hinter den Notwendigkeiten, leider muss man ja sagen Begehrlichkeiten, der Transplantationsmedizin zurücktreten.
Wer sich,
aufgeklärt darüber, dass er einer Explantation als noch
Lebender zustimmt, zu einer Organspende bereit erklärt, der mag dies tun.
Wir sollten nur davon Abschied nehmen, den Menschen einzureden, dass Sie tot wären, wenn sie explantiert werden.
Mit dieser Meinung stehe ich, glücklicherweise auch in Fachkreisen, nicht allein.
Siehe auch:
www.Initiative-KAO.de