Peter Wolter: Mehrere Millionen Euro kostet die Steuerzahler am Sonntag die wohl überflüssigste Shownummer im Berliner Demokratie-theater: die Wahl des neuen Bundespräsidenten. In der Bundesversammlung ist eine überwältigende Mehrheit für den Rostocker Pastor Joachim Gauck sicher. Gegenstimmen wird es wohl nur aus der Linkspartei geben, die Beate Klarsfeld ins Rennen schickt.
Mit der Aufstellung Gaucks haben sich CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne – die große Koalition der Neoliberalen also – für die wohl reaktionärste Variante zur Neubesetzung des Präsidentenamtes entschieden. Welche besondere Qualifikation Gauck dafür mitbringt, bleibt schleierhaft: Er hat wenig Erfahrung im Politikgetriebe, er war weder »Freiheitslehrer« noch »Bürgerrechtler«, wie es seine Befürworter behaupten. Im Gegenteil: Er war zu DDR-Zeiten ein Anpasser, der von sich aus auch den Kontakt zur Staatssicherheit gesucht hat. Einer, der gut und komfortabel mit den Vergünstigungen lebte, die ihm die Behörden im Gegensatz zum »normalen« DDR-Bürger zugestanden haben.
Wie jW-Recherchen bei Rostockern ergaben, die Ende der 80er Jahre Kontakt zu Gauck hielten, war er zwar bekennender Antikommunist, hatte aber im übrigen nichts gegen die Existenz der DDR. Erst nachdem Erich Honecker im Herbst 1989 als SED-Chef zurückgetreten war, nahm er an Veranstaltungen der Opposition teil.
Zuvor hatte sich Gauck durchaus mit der Staatssicherheit arrangiert, mit ihr sogar über Möglichkeiten der Zusammenarbeit gesprochen. Für diejenigen, die es in den 80er Jahren ebenso gemacht hatten wie er, gab es nach der »Wende« aber nichts mehr zu lachen: Gauck wurde »Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik« und eröffnete die Hatz auf Lehrer, Gewerkschaftsfunktionäre und Juristen, auf Bundestagsabgeordnete, Landesminister und Journalisten. Die »Gauck-Behörde« vergiftete das Klima im Lande, sie entwickelte sich zur antikommunistischen Inquisition, vor der selbst frühere Klofrauen nicht sicher waren.
So kritisch der Springer-Verlag, andere Konzernmedien sowie die TV-Sender mit Christian Wulff umgegangen sind, so unkritisch wird jetzt sein Nachfolger Gauck bejubelt. Er selbst kokettiert damit, daß er »Antikommunist« sei, weil ein sowjetisches Militärtribunal 1951 seinen Vater ins Gefängnis steckte – es wird aber gar nicht erst hinterfragt, was Vater Gauck als hoher Nazioffizier angestellt hat. Daß er zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, läßt jedenfalls auf ein Kriegsverbrechen schließen – die Gerichtsakten sind zur Zeit allerdings nicht zugänglich.
Die Erkenntnis, daß die Elterngeneration in Sachen Faschismus jede Menge Dreck am Stecken hatte, war in Westdeutschland einer der Auslöser der 68er-Bewegung. Viele, die entdeckt hatten, daß ihr Vater oder ihre Mutter Nazis waren, konnten nicht mehr mit den Lügen, Beschönigungen und angeblichen Erinnerungslücken leben, sie wollten einen anderen, einen humanen Staat. Sie gingen auf die Straße.
Gauck hingegen hat deutlich gemacht, daß er nach wie vor auf der anderen Seite steht. Seine Wahl ist so etwas wie eine Zeitmaschine: Zurück in die dumpfe, verlogene und stickige Atmosphäre der 50er Jahre.
Der Publizist Albrecht Müller, ehemals Wahlkampfleiter von Willy Brandt und Planungschef in dessen sowie Helmut Schmidts Kanzleramt, schließlich urteilt in seinem gerade erschienenen Buch »Der falsche Präsident«: »Joachim Gauck nimmt die aktuellen, großen Bedrohungen unserer Freiheit nicht ernst genug: die Macht der Finanzwirtschaft, den Abbau der sozialen Sicherheit und die Erosion der Demokratie. Gaucks Botschaft klingt wie ein lautes ›Empört Euch nicht!‹
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17.03.2012: Wir sagen an dieser Stelle einfach mal: Nein danke (Tageszeitung junge Welt)
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