Mit der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit ist es so eine Sache. Wenn eine Partei vor der Wahl sagt, daß sie dieses und jenes möchte, steht ja auch immer die Finanzierungsfrage im Raum. Alle wollen die Familien fördern, die Bildung verbessern, die Verkehrsinfrastruktur verbessern, die medizinische Versorgung verbessern, die Energie sauberer machen, sozial schwache und alte Mitbürger menschenwürdig versorgen, neue Arbeitsplätze schaffen und dergleichen mehr, aber gleichzeitig am liebsten auch die Steuern und Abgaben senken und die Schuldenlast abbauen. Wäre ja auch alles schön... Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus.
Geld steht nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, man läßt sich schon feiern, wenn man nicht noch mehr neue Schulden aufnimmt, als die Vorgängerregierung, Schuldenabbau ist eher eine Utopie. Und zwar ohne, daß sich in den oben genannten Bereichen wirkliche Fortschritte ergeben. Die Politik hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend selbst entmachtet. Bereiche, die eigentlich elementare Bestandteile der staatlichen Daseinsvorsorge sein sollten (Gesundheit, Energie, Netze, Müllentsorgung, ÖPNV usw.) wurden für das schnelle Geld verscherbelt, um den Preis, daß man nun keine Gewinne mehr daraus ziehen kann, daß man kaum noch Einfluß nehmen kann und daß die privaten Unternehmen bei der Wahrnehmung dieser eigentlich öffentlichen Aufgaben nicht auf das Gemeinwohl, sondern nur auf den eigenen Profit achten. (Wer konnte denn aber auch mit so etwas rechnen...???)
Andererseits macht man beim Wähler nicht unbedingt Punkte, wenn man ihm vor der Wahl mitteilt, was man alles verteuern will. Und einiges, sollte man im Interesse der Staatsräson, auch durchaus nicht der gesamten Öffentlichkeit publik machen, weil den meisten von uns das erforderliche Fachwissen fehlt, um komplexe Zusammenhänge sachgerecht zu würdigen oder weil einige Dinge auch einfach einer gewissen Diskretion bedürfen.
So gesehen hat Frau Merkel alles richtig gemacht: Sie verspricht nichts- und das hält sie auch. Und damit überzeugt sie offenbar auch zahlreiche Wähler, deren Interessen sie eigentlich nicht vertritt- oder zumindest lullt sie sie erfolgreich ein. Traditionell ist die CDU eine konservative Partei, die vor allem für die Interessen von Vermögenden, Konzernen, Arbeitgebern, Vermietern, katholischer Kirche, konventioneller Landwirtschaft und leicht national orientierten einsteht. Dennoch wählen auch Menschen, wie meine Schwägerin die CDU: nicht vermögend, Arbeitnehmerin im unteren Lohnsektor, Mieterin, Mutter eines Sohnes, der bald sein Studium beginnen will, aus der katholischen Kirche ausgetreten, in Scheidung lebend, für Frauenrechte eintretend und wohnhaft in Berlin- eigentlich also jemand, der bei anderen Parteien viel besser aufgehoben wäre.