Meine Jugend (5)

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Gast258

Guest
Es gäbe noch vieles zu berichten, aber ich denke, ich mache Schluss, mit dem Tag als die Amerikaner ins Dorf kamen.

An einem Tag gruben die HJ (Hitlerjugend) unter der Leitung des Volkssturms (das waren nur noch 2 bis 3 Mann, der Rest war an der Front) die Hauptsrasse unseres Dorfes auf und machten dicke Balken dahin , wo Bauernhöfe dicht an der Strassse waren. Hinter diese Balken gruben sie dann tiefe Löcher.
Man sagte uns da könnten die Ami Panzer nicht durch, wenn sie überhaupt kämen....

Abends war wieder Alarm und es dauerte nicht lange, da hörten wir die Panzer auf der Hauptstrasse fahren. Ich habs nicht begriffen, denn da waren doch die Sperren...

Es dauerte nicht lange und ein wüstes Gewehrfeuer setzte ein, was deutlich auf unser Haus gerichtet war. Man hörte die Kugeln oder Patronen einschlagen und die Fenster zersplittern.

Oma sagte sofort; das ist unser Fahnenmast, die denken das ist ein Parteigebäude oder ähnliches.
Während meine Oma, meine Mutter noch berieten, was man tun könne, hörte der Beschuss des Hauses plötzlich schlagartig auf.
Wir bemerkten erst jetzt, dass unsere Tante Johanna unbemerkt den Keller verlassen hatte, indem sie tat als ob sie den Toiletteneimer benutzen wollte.

Als sie zurückkam sagte sie, sie sei an den Mast gekrochen und habe ein weisses Betttuch hochgezogen. Die Amerikaner hätten sofort aufgehört zu schiessen und sie konnte aufrecht zurück ins Haus.

Als Oma frug, warum sie das einfach gemacht hätte sagte Johanna, sie sei nicht verheiratet und habe keine Kinder, da sei das doch selbstverständlich........

Es gäbe noch viel zu berichten, aber ich denke, wenn euch was interessiert, stellt mir einfach Fragen.

Damit möchte ich diesen Bericht beenden, ich muss sagen, es war nicht immer leicht, denn vieles war doch recht tief vergraben........

Euer Rolf.
 

Panzer

Aktives Mitglied
Danke für deinen Bericht, Rolf. Eine Frage hätt ich noch: Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als du mitbekamst, dass der Krieg vorbei ist?
 

Wolle

Bekanntes Mitglied
Interessante Berichte, Rolf.
Ähniches hab ich von meinen Großeltern und Eltern auch schon gehört.
Aber das selber erleben ist natürlich was ganz anderes.:)
 
G

Gast258

Guest
Ja Panzer, denn wir als Kinder wussten ja schon, dass die weisse Fahne die "Aufgabe" bedeutet.
So haben uns die Erwachsenen gleich erklärt, dass der Krieg nun vorbei sei und dass Hitler ihn verloren hatte.

Die "Feinde" , das heisst die Amis, machten gleich am nächsten Tag zu zweit, Hausdurchsuchungen.
Sie waren freundlich und schenkten uns Kinder kleine Tafeln "Hersheys" Schokolade und "Tschuwing gam", womit sie schon keine Feinde mehr waren.
Es waren auch immer wieder Soldaten dabei die deutsch sprachen. Schon 8 Tage nach dem Einmarsch hatten wir 2 Amerikaner als Einquartierung. Die nahmen uns Kinder auch mit ins Kino wo es amerikanische Zeichentrickfilme (schwarz/weiss gab.

Der Friede war leicht zu ertragen.....
 

Fortuna

Moderator
Bis heute sind die Auswirkungen dieses Krieges spürbar. Ob in den Erinnerungen oder darin, dass man immer noch die Gräber Angehöriger sucht. Und trotzdem spielt die Welt heute wieder verrückt. Ich habe das Gefühl, überall ist Krieg. Ich finde das sehr traurig und auch beängstigend.

Lieber Rolf, vielen Dank, dass Du Deine Erinnerungen mit uns geteilt hast.
 

Panzer

Aktives Mitglied
Das ist der helle Wahnsinn an der Sache. Dass die Menschen so wenig lernen aus der Geschichte. Und dass sie so schnell vergessen. Es geht mir wie dir, Fortuna: Ich habe auch das Gefühl, überall ist irgendwie Krieg. Immerhin nicht mehr überall mit physischen Waffen. Aber sicher kann man sich nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt sein. Das ist bedrückend. - Das Phänomen ist erschreckend: Praktisch kein Mensch - unter vier Augen darauf angesprochen - befürwortet irgendeine Form von Krieg. Aber dann, in der Masse ...
 

irmi_Keller

Bekanntes Mitglied
Ja, sich Frieden wünschen
und friedlich leben
sich nicht selber so ernst zu nehmen
Verzicht zu üben

Das klappt schon in vielen Familien nicht
Das Einzige was ich diesem Wahnsinn entgegenzusetzten habe ist mein Tun und Denken zu üben jeden Tag aufs Neue
Ich hoffe es nützt ein kleines Bischen
 
G

Gast258

Guest
Ja Fortuna, auch mein Vater wurde als vermisst gemeldet. Meine Mutter hat 3 bis 4 Jahre versucht ihn übers Rote Kreuz zu finden, wobei ich immer dabei war.

Später war ich dann nur noch ein Anhängsel und wurde in der Woche mehrmals heftig verprügelt. Das war so schlimm, dass ich mit 14 Jahren als Schiffsjunge zur Reederei ging, wo mein Vater Kapitän war, bevor er nach Russland eingezogen wurde. Ich habe damals Unterschriften gefälscht und gelogen nur um von zuhause wegzukommen.

Ich denke es gibt noch mehr Leute, die damals ungewollte Anhängsel waren und deshalb ein Leben hatten, das sie so nicht haben wollten.....
 
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