WILLI IST ONLINE!
Mein Willi ist ja nun man über 60. Macht ja nix, ist ja gut drauf!
Mein Willi ist technisch hochbegabt! Er baut sein Auto auseinander und wieder
zusammen, ohne Teile übrig zu behalten. Er kann mauern, schreinern, malen – ja
sogar kochen. Willi ist ein All-Round-Genie.
Nur mit meinem Computer – mit dem hat es Willi nicht so.
Ich sitze halt gern und lang vor dem Bildschirm, schreibe, spiele und schau mich in
der Welt um. Da geht schon mal die Mitternacht vorüber und ich hocke immer noch
vor meiner Kiste.
Und das macht den Willi ganz fuchtig. Er schimpft, ich soll früher ins Bett gehen – er
selbst liegt ja schließlich auch schon um 22 h in den Kissen – und hält außerdem
noch seinen Mittagsschlaf. Gut, dafür ist er morgens um 6 Uhr munter und
unternehmungslustig, wenn ich mich gerade zum zweiten Male umdrehe.
Willi fand das gar nicht gut.
Doch dann kam sein Sohn zu Besuch nach Spanien und brachte meinem Willi ein
Laptop mit. Der Sohn flog wieder ab und Willi blieb fluchend zurück.
„Was soll ich mit dem Mist! Das Ding wird verkauft. Basta!“
Es ist schon ein wenig betagt, das Notebook. Man kann nicht schnurlos online gehen.
Und Willi wollte auch gar nicht.
Ich rief bei der Telefonica an und bestellte einen neuen Router. Bisher hatte ich ein
Mono Puerto – halt nur für meinen PC. Nun musste eine Möglichkeit geschaffen
werden, auch den Willi online zu bringen. Davon durfte er natürlich nichts wissen.
Knapp eine Woche nach meinem Anruf kam der neue Router – kostenlos und per
Kurier – von der Telefonica ins Haus.
Willi hielt gerade sein Mittagsschläfchen, als ich sein Laptop zusammen mit meinem
PC mit dem neuen Wunderkästchen verkabelte. Ich fuhr das Notebook hoch und
prüfte, ob man nun damit problemlos ins Internet kam. Ja! Willi konnte kommen.
Wenn Willi sein Schläfchen gehalten hat, braucht er erstmal immer ein Tässchen
Kaffee. Diesmal bereitete ich es ihm zu und stellte es neben das schon wartende
Gerät.
Ich setzte mich dazu und plauderte so ganz in Ruhe über das Internet im
Allgemeinen und sein Laptop im Besonderen. Er solle doch mal die eine oder andere
Taste drücken…
Willi brummelte, aber er drückte – und landete direkt bei Google maps (wie ich es
vorher eingestellt hatte). Es dauerte nicht lang und er fand unser Häuschen hier in
Spanien. Nun wurde er tolldreist und ging auf die Reise: sein Geburtshaus, all die
Orte an denen er schon einmal war. Willi reiste bis in den Orient.
Ich ließ ihn allein.
Es wurde spät an diesem Abend – ach was sag ich: in dieser Nacht. Willi trieb sich in
der Weltgeschichte rum. Als ich kurz nach Mitternacht ins Bett ging, war von Willi
noch nichts zu sehen.
Am nächsten Tag – Willi schlief bis 9!!! – erhielten wir einen Anruf, der die Ankunft
einer Freundin per Flugzeug ankündigte. Wir wollten sie vom Flughafen in Alicante
abholen. Willi saß natürlich schon wieder vor sein `Schlepptopp`, wie er es nannte.
Als dann plötzlich von ihm zu hören war: „Du, sie landet genau um 9.05 h am
Freitag!“ - da wusste ich es genau:
Willi war online!
P.S. Sehen tun wir uns nicht mehr so oft – aber ab und zu krieg ich von Willi mal `ne
Mail!
Ein paar Tage später
Oh, Mann! Lass mich an Land, ich will aussteigen!
Willi und sein Schlepptop bringen unser ganzes Familienleben durcheinander.
Unsere Hündin Luna leidet unter Papas fehlenden Krauleinheiten (Willi hat es noch
nicht drauf, einhändig zu surfen), ich bin immer lange vor ihm fertig, wenn es ans
Einkaufen geht und der Mann ist abends nicht mehr ins Bett zu kriegen.
Bevor es morgens Frühstück gibt, geht es ins Internet: Wetterbericht abrufen.
Andere Leute schauen aus dem Fenster - Willi nicht! Er schaut in sein Schlepptop.
Jetzt will er mir schon was bei ebay besorgen - von Schuhen bis zum Rührlöffel, Willi
findet alles! Auch ein neues Auto hat er schon - für einen Euro meint er. Gut, das
System hat er noch nicht ganz durchblickt und wird sich bestimmt wundern, dass ein
paar Minuten vor Schluss der Auktion der Preis in enorme Höhen schießt. Aber ich
sag nix. Lass Willi man seine Erfahrungen ganz allein machen.
Noch habe ich die Hoffnung, dass er dann in einem Wutanfall sein Schlepptop auf die
Terrasse schmeißt...
Wieder ein paar Tage später
Willi ärgerte sich immer so, dass er nie eine e-mail an die neu eingerichtete Adresse
bekam. Ich schlug ihm vor, doch mal in einen Chat zu gehen und sich dort ein wenig
umzuschauen. Das wollte er dann auch tun. Einen Tag später schon freute er sich,
dass er auf einmal so reichlich Post bekam. Und immer schrieben ihm nur Frauen.
Willi war überrascht.
Ich hielt mich da raus.
Doch dann kam eine Mail von ihm – eine Hilferuf. Es wurde ihm einfach zuviel mit
den ganzen mysteriösen Frauenzimmern, wie er sich ausdrückte. Ob er denn im Chat
seine e-mail-Adresse angegeben habe, fragte ich. Nein, ganz sicher nicht. Hm. Ich
ging rüber zu ihm, denn wir sitzen ja nicht im selben Raum.
Ich schaute mir einmal ganz genau die Absender an.
Ach mein Willi! Er hatte sich bei einer Partnervermittlung angemeldet. Dem Himmel
sei Dank konnte ich ihn da wieder rausholen, aber Willi behauptet immer noch steif
und fest, er sei doch nur in einem Chat-Room gewesen.
Wir haben ein neues Haustier. Willi brachte es in einem Schuhkarton, in dessen
Deckel sich einige Löcher befanden.
„Damit sie besser Luft bekommt“, grinste er.
Ein Spielgefährte für Luna, dachte ich erst. Doch dann holte Willi den
Familienzuwachs aus dem Karton: seine neue Computermaus! Dabei hatte er doch
erst vor ein paar Tagen entschieden, so einen „Schnickschnack“ nicht nötig zu
haben. Da ging es ja auch noch, aber seit gestern nun nervt er die ganze Familie.
„Luna, Luna, Luna…“ ging es in einer Tour. Ich kam gerade aus der Dusche, schaute um die Ecke um
zu sehen, was Willi denn mit Luna am Wickel hat.
„Ah, gut dass Du kommst. Luna, Luna, schau mal, Frauchen ist da.“ Ich verstand
immer noch nicht, was da los war. Dann winkte mich Willi zu seinem Schlepptop.
„Schau doch mal.“ Nun muss ich gestehen, ohne Brille bin ich blind wie ein Maulwurf.
Und da ich ohne Brille zu duschen pflege, sah ich nur irgendwas Buntes auf seinem
Desktop.
„Hast Du einen neuen Bildschirmschoner?“
Willi bog sich vor Lachen und reichte mir meine Brille. Und da sah ich das ganze Ausmaß des
Elends: Willi hatte eine Kamera an sein Laptop angeschlossen. Ich
hatte wirklich vergessen, dass sein Sohn ihm dieses Ungetüm auch noch geschenkt hatte. Und nun
nahm mein Willi alles auf, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Und ich HASSE es, aufgenommen
zu werden.
Seitdem bekomme ich recht viele Mails – von Willi. Betreff lautet immer: “Ein neues
Rätsel: Was ist das?“. So begann ein lustiges Bilderraten mit Willis Glatze, seinem
Gaumenzäpfchen und sonstigen Wichtigkeiten, die er nun mittels der neuen Kamera
für die Nachwelt festhält.
Was lernen wir daraus? Unterschätze nie das technische Genie Deines Partners.
Bei dem Gedanken, Willi könnte eines Tages lernen, wie man eine dicke, nasse, nur
mit einem Badelaken bekleidete Frau ein You Tube einstellt, beginne ich Fingernägel
zu kauen.
© Lilac Namez, Spanien 2010