Berliner Rütli-Schule unter Polizeischutz
Berlin - Nach dem dramatischen Hilferuf ihrer Lehrerschaft steht die Rütli-Hauptschule im Berliner Problembezirk Neukölln seit Freitag unter Polizeischutz. Sechs Beamte boten Schülern Gespräche über die Eskalation der Gewalt an ihrer Schule an.
Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) sagte: "Hier gibt es keine schnellen Lösungen." Er mahnte dringend Verbesserungen in der Integrationspolitik an. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz warnte vor einer "hysterischen Debatte" über Konsequenzen aus dem bundesweit für Schlagzeilen sorgenden Fall der Berliner Hauptschule.
Die Lehrer der Rütli-Schule hatten sich wegen der eskalierenden Gewalt mit einem verzweifelten Hilferuf an die Schulverwaltung gewandt. 80 Prozent der Schüler stammen aus Migrantenfamilien. Nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidenten und der Schule sei beschlossen worden, dass Taschenkontrollen nicht nötig seien, sagte Böger. "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Probleme mit der Polizei gelöst werden können."
Nach Ansicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) müssen Lehrer und Polizei rechtzeitig gemeinsame Strategien gegen Gewalt an Schulen entwickeln. "Wenn die Polizei kommt, dann ist im Regelfall das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wir müssen früher miteinander reden", sagte der Gewerkschafts-Vorsitzende Wolfgang Speck der dpa in Berlin.
SPD-Experte Wiefelspütz sagte am Freitag der "Netzeitung", es sei wenig sinnvoll, mit "pauschalen Erklärungsmustern" zu reagieren. Zunächst seien lokale Einrichtungen gefragt. Grünen- Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck kritisierte, es sei "die völlig falsche Maßnahme, wenn die Bundesregierung die Integrationsmittel um ein Drittel" kürze. Beck forderte in der "Netzeitung" ein "umfangreiches Programm" zur Integration der bereits in Deutschland lebenden Zuwanderer.
Das Problem lässt sich nach Ansicht des Erziehungswissenschaftlers Peter Struck nicht durch Sanktionen in den Griff bekommen. "Solche Täter sind relativ immun gegen Strafen - das heizt sie zumeist noch weiter an", sagte er dem Sender NDR Info.
Der Berliner Landeselternausschuss forderte den rot-roten Senat auf, die notwendigen personellen und materiellen Voraussetzungen zu schaffen, um die besonderen Probleme an der Rütli-Schule umgehend zu lösen. Gleichzeitig müssten aber auch Schulen mit ähnlichen Problemsituationen entsprechende Unterstützung erhalten. Die Berliner CDU warf dem Senat und insbesondere Schulsenator Böger "komplettes Versagen" in der Schulpolitik vor.
Die Rütli-Hauptschule bekommt bekommt unterdessen den lang gesuchten neuen Schulleiter. Böger stellte am Freitag den Direktor einer Schule in Berlin-Reinickendorf als kommissarischen Rektor für die Zeit bis zu den Sommerferien vor. Die bisherige Schulleiterin ist seit Anfang des Schuljahres krank und wird in den Ruhestand gehen. Für die Stellvertretung hatte sich seit Jahren niemand gefunden. Es gab eine kommissarische Leitung aus dem Kreis der Lehrer.
Dokumentation: Der Brief der Lehrer
Berlin - Die Lehrer der Rütli-Hauptschule im Berliner Problembezirk Neukölln haben in einem einstimmig beschlossenen Brief einen Hilferuf an die Schulaufsicht gerichtet. Die Deutsche Presse- Agentur dokumentiert Auszüge aus dem Schreiben vom 28. Februar 2006:
" ... Der Gesamtanteil der Jugendlichen nicht deutscher Herkunft beträgt 83,2 %. ... In unserer Schule gibt es keine/n Mitarbeiter/in aus anderen Kulturkreisen. Wir müssen feststellen, dass die Stimmung in einigen Klassen zurzeit geprägt ist von Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber. Notwendiges Unterrichtsmaterial wird nur von wenigen Schüler/innen mitgebracht. ... Werden Schüler/innen zur Rede gestellt, schützen sie sich gegenseitig. Täter können in den wenigsten Fällen ermittelt werden. ... In vielen Klassen ist das Verhalten im Unterricht geprägt durch totale Ablehnung des Unterrichtsstoffes und menschenverachtendes Auftreten. Lehrkräfte werden gar nicht wahrgenommen, Gegenstände fliegen zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen, Anweisungen werden ignoriert. Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können.
Wir sind ratlos.
Wenn wir uns die Entwicklung unserer Schule ... ansehen, so müssen wir feststellen, dass die Hauptschule am Ende der Sackgasse angekommen ist und es keine Wendemöglichkeit mehr gibt. Welchen Sinn macht es, dass in einer Schule alle Schüler/innen gesammelt werden, die weder von den Eltern noch von der Wirtschaft Perspektiven aufgezeigt bekommen, um ihr Leben sinnvoll gestalten zu können. ...
Die Schüler/innen sind vor allem damit beschäftigt, sich das neueste Handy zu organisieren, ihr Outfit so zu gestalten, dass sie nicht verlacht werden, damit sie dazugehören. Schule ist für sie auch Schauplatz und Machtkampf um Anerkennung.
Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Es gibt für sie in der Schule keine positiven Vorbilder. Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen. Hauptschule isoliert sie, sie fühlen sich ausgesondert und benehmen sich entsprechend.
Deshalb kann jede Hilfe für unsere Schule nur bedeuten, die aktuelle Situation erträglicher zu machen. Perspektivisch muss die Hauptschule in dieser Zusammensetzung aufgelöst werden zu Gunsten einer neuen Schulform mit gänzlich neuer Zusammensetzung. ...