Altersstarrsinn oder Realitätsverlust ?

Olathe

Benutzer
Hallo Ihr Lieben!
Gerne möchte ich mit euch über die Themen Altersstarrsinn und Realitätsverlust diskutieren und eure Meinungen dazu lesen.
Anlass dafür ist ein mir bekannter Zeitgenosse im Alter von 78 Jahren, dessen Verhalten ich, als die Jüngere mit 57 J., gerne verstehen möchte.
Zu ihm dann Näheres weiter unten.
Hier zunächst mal als Grundlage die Definitionen (Wiki lässt grüßen!)

Starrsinn bezeichnet die Geisteshaltung einer Person, die von Unnachgiebigkeit, Eigensinn oder auch geistl. Unbeweglichkeit geprägt ist.
(Lach: stur und eigensinnig bin ich ja auch manchmal, aber von geistl. Unbeweglichkeit kann bei mir definitiv keine Rede sein. Basta!)

Realitätsverlust ist die Unfähigkeit eines Menschen, das eigene Handeln mit der Objektivität der realen
Welt und der Denkweise seines Umfeldes in Einklang zu bringen.

Nun zum erw. Zeitgenossen als Beispiel.

Der Mann ist seit etwa 30 Jahren kommunalpolitisch tätig, zunächst für eine der großen Volksparteien. Nach Querelen dort gründete er eine Wählergemeinschaft (WG), war bis 2009 deren Vorsitzender und beansprucht bis dato das Amt des Fraktionsvorsitzenden im Rat der Stadt. Den ersten Vorsitz im Verein gab er nach einem mäßigen Wahlergebnis (nur noch 2 Sitze) 2009 mit der Begründung ab, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass nun jüngere das Sagen haben sollten, er zu alt für den Vorsitz sei und neue Ideen von kompetenteren Leuten gefragt seien.....
Aktuell zeigt sich folgendes Bild: keine Kommunikation mit seinem Parteilollegen im Rat, der Ratskollege und andere Ratsvertreter berichten davon, dass er kaum noch den Sitzungen folgen könne, geschweige denn auch mal notwendige schnelle Entscheidungen treffen könne, Vorher abgesprochenes Stimmverhalten ignoriert er.
Die WG selbst hat erhebliche Probleme: nur noch 24 Mitglieder, Durchschnittsalter 62 Jahre, nur definitiv 4 fähige Leute, die kompetent Kommunalpolitik betreiben könnte,
......und damit will er unbedingt nochmal als Spitzenkandidat bei den Kommunalwahlen 2014 antreten.
Dann ist er 79!
Noch so ein Bild: bei der letzten MV mit Vorstandswahl, hat er sich mangels erw. Personalprobleme wieder in den Vorstand wählen lassen - als Kassierer! Sein Sohnemann ist 1. Vorsitzender und seine Schwiegertochter eine der Kassenprüfer.
Hinweise, Warnungen von Freunden, von Vereinsmitgliedern hinsichtlich des Vereinszustandes und der Chancen bei der Kommunalwahl werden von ihm stur ignoriert.

Ein bißchen kann ich ihn ja verstehen: wer gibt schon gerne eine Herzensangelegenheit auf?

Dennoch meine ich: er leidet an Altersstarrsinn und zugleich auch an Realitätsverlust.

Was meint ihr?
Kennt ihr auch so jemanden?
Wurdet ihr gar selber schon als "altersstarrsinnig" bezeichnet?

Bin gespannt auf eure Anworten
und schicke euch
liebe Grüße
von Olathe



Das E
 
G

Gast327

Guest
Mir kam da letzthin eine ganz andere Idee, was Realitätsverlust angeht.
Ich habe jetzt über 80 Jahre gelebt und meine Realität ist mir nicht abhanden gekommen.
ABER: es sind mindestens 2 Generationen nachgewachsen, die die ihrige ausleben. Ganz zwangsläufig gehen die Realitätsansichten auseinander. Die Jugend lebt ihr Leben und das ist auch genau richtig. Da kommt dann der Punkt, wo die Jungen die Alten nicht mehr verstehen (und umgekehrt) und es gibt Krach. Denn jeder hat für sich selber Recht und keiner mag gerne, dass der Andere ihm seine Meinung aufzwingen will. Das geht so weit, dass die Alten von den Jungen ganz selbstverständlich ins Altenheim abgeschoben werden, denn die Jungen sind naturgemäss die Stärkeren und können das leicht durchsetzen. Was es aber für einen alten Menschen bedeutet einfach fremdbestimmt zu werden, nur weil sie inzwischen sich nicht mehr wehren können, denkt jemand darüber nach?

Ein Freund nahm seine 96 Jahre alte Mutter mit in sein Haus. Ihre Realität war Wut über die eigene Schwäche, schlechte Laune deswagen, übergrosse Anhänglichkeit vielleicht aus Angst verlassen zu werden. Kurz: sie war schwer zu ertragen. Aber er behielt sie direkt neben sich, wortwörtlich. Sie wurde nie allein gelassen. Er konnte nichts mehr wirklich unternehmen, denn er kümmerte sich um sie. Mit 101 Jahren war ihre Lebensuhr dann abgelaufen. Sie schlief friedlich ein, in ihrer Realität und in seinen Armen. Ohne schlechtes Gewissen war er und seine Familie danach erleichtert. Und in meinen Augen ist er ein Held. Weil er sie zu nichs gezwungen hat, was sie nicht wollte.
 

romi

Benutzer
Und in meinen Augen ist er ein Held. Weil er sie zu nichs gezwungen hat, was sie nicht wollte.

In meinen Augen auch.
Es ist so schwer jemanden zu pflegen und man ist sehr allein wenn es lange dauert. Ich habe ähnliches durchlebt und bereue keine Stunde. Allerdings war meine zu Pflegende nicht starrsinnig sondern bis zum Schluss ziemlich ausgeglichen.
 

brunhildchen

Benutzer
Gern schreibe ich zu diesem Thema auch etwas, weil mich Aehnliches bewegt aus meinem Umfeld. Es geht um eine 79jaehrige Dame, die ehrenamtlich in einem Wohlfahrtsverband tätig ist als Ortsgruppenvorsitzende und sich zum 3. oder 4. Mal für den Vorstand aufstellen laesst. Im letzten Jahr hatte sie gesundheitliche Probleme (nahm mehrere Kilo ab), war zudem gereizt und unzufrieden. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich an schönen Dingen nicht mehr so erfreuen konnte wie frueher. Ich mach mir jetzt Sorgen, dass sie ihre Grenzen ueberschreitet und dass es ihr wieder schlechter geht. Das Gespräch dazu verlief unbefriedigend und angespannt und beidseitig uneinsichtig. Ich weiss momentan keinen Rat, wie ich mich ihr gegenüber weiterhin verhalte, zumal ich sie sehr lieb habe. Weiss jemand Rat? Würde mich sehr freuen. Danke!
 

romi

Benutzer
Ich kann aus der Ferne und Unkenntnis der Lage keinen Rat geben. Vielleicht ist der Verlust des Vorsitzes ein Schmerzlicher und das Gefühl nicht mehr gebraucht zu werden irgendwie ein Abschiedesgedanke. Feinfühligkeit ist da wohl gefragt.
 

brunhildchen

Benutzer
Vielen Dank, liebe Romi, deine Worte kann ich nachvollziehen. An den Abschied als solchen hab ich gar nicht so gedacht. Und sicher an den Schmerz, den sie empfinden koennte, sich nicht mehr gebraucht zu fuehlen. Ach, es ist echt schwer, sachlich zu reagieren, wenn es unmittelbar geschieht, also innerhalb der Familie. Ich denke, ich habe zu heftig reagiert. Dass ich eben solch ein Verhalten nicht nachvollziehen kann, wenn die Gesundheit in Gefahr ist. Zumal es solche Situationen gab. Sollte ich wohl ihre Entscheidung respektieren...
 
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