AW: Abschied
Danke Euch!
Ich bin froh, dass ich es gestern noch geschafft habe, zu ihr zu fahren. Sie hat nur noch sehr wenig klare Momente und reden kann sie gar nicht mehr, aber sie hat mich erkannt und sie konnte noch deutlich zeigen, dass sie sich sehr freute. Ich war ein paar Stunden bei ihr und es war nicht schlimm sondern irgendwie schön. Schlimm war allerdings, zu sehen, dass sie anscheinend nur durch ihren Herzschrittmacher noch am Leben gehalten wird. Sie möchte so gerne gehen, aber sie kann es noch nicht und so quält sie sich. Ganz schlimm war dann der Moment, in dem ich gehen musste. Das hat mir fast das Herz gebrochen. Am liebsten wäre ich bei ihr geblieben, bis sie es endlich geschafft hat. Zum Glück funktioniert unsere Familie soweit, dass von denen, die in der Nähe wohnen, rund um die Uhr immer jemand da ist und bei ihr am Bett sitzt. Ich bin leider über 100 km weit weg.
Meine Großmutter liegt in einem Hospiz, das erst im Oktober 11 eröffnet wurde. Ich bin über die Einrichtung sehr erstaunt. Ich habe selten etwas tröstlicheres und würdevolleres gesehen. Es wird dort alles getan aber auch alles gelassen, um es den Sterbenden und ihren Angehörigen so leicht wie möglich zu machen. Es ist schön, dass es so einen Ort gibt.
Kurz bevor ich gestern in Richtung Hospiz losfuhr, erreichte mich ein Anruf. Ein etwas weitläufiger Verwandter sei vor wenigen Tagen ebenfalls dort eingezogen. Vor etwa einem Jahr an Leukämie erkrankt hatte er nun jede weiter Behandlung abgelehnt und sich bewusst für das Hospiz als seine letze Station entschieden. Ich hoffte, seine Familie dort anzutreffen, aber er war 2 Stunden vor meiner Ankunft dort bereits verstorben. Das tut mir sehr leid.
Für Edwin und Alice:
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse)
Macht es gut!
